Das ist aber auch schwierig, im Bereich Arbeit mit Kindern alles richtig zu machen. Worauf muss ich achten, um meiner Aufsichtspflicht gerecht zu werden? Tappt man da nicht ständig in eine Falle, die einem später als Nachlässigkeit angekreidet werden kann?
Wenn ihr wollt, besprecht die folgende (für manche vielleicht nur leicht übertriebene) Geschichte mal in eurem Team für die Arbeit mit Kindern. Was hat Stefan, der Jungscharmitarbeiter, richtig gemacht? Wo war er bloß moralisch und pädagogisch unklug? Wo war er grob fahrlässig? Wo hat er sich vielleicht sogar strafbar gemacht? Und an welchen Stelen hätten bereits andere Vorsorge treffen können oder müssen?
Dann viel Spaß beim Lesen.
Ein bisschen Schwund ist immer
Das war mal wieder eine Jungscharstunde, wie sie im Buche steht: Stefan war im Dienst aufgehalten worden und hatte den 15-jährigen Patrick telefonisch schon mal dazu beauftragt, mit der Jungschar zu beginnen. Um halb fünf sollte die Jungschar beginnen. Um zehn vor fünf kam Stefan ins Gemeindehaus. Zwölf Kinder zwischen 8 und 13 Jahren sprangen durch sämtliche Räume, einer hielt ihm gleich ganz stolz das Pedal vom Schlagzeug aus dem Gottesdienstraum unter die Nase. Damit hätte Elmar Saskia ein Loch in den Kopf gehauen, berichtete der. Von Patrick keine Spur. Der hatte sich kurzfristig überlegt, heute doch lieber seine Freundin zu besuchen als zur Jungschar zu kommen. Wer sie denn reingelassen hatte, wollte Stefan wissen. Die Tür war offen, wahrscheinlich noch vom Altenkreis am Vormittag.
Stefan musste sich erst mal Gehör verschaffen. Zunächst lachten alle nur, als er wütend die Meute aus den verschiedenen Räumen zusammenbrüllte. Aber als er sich erst mal Fabian, den Wildesten krallte, ihn übers Knie legte und ihm vor allen den nackten Hintern versohlte, entschieden sich die Kinder zu gehorchen.
„Alle in den Jungscharraum, aber dalli!“, befahl Stefan. „Und du, Elmar, kannst gleich wieder nach Hause gehen! Wer anderen etwas auf den Kopf haut, hat in der Jungschar nichts verloren!“ – „Aber ich werde erst um 18.00 Uhr abgeholt“, empörte sich Elmar. „Ist mir egal“, klaffte Stefan, „du kannst ja schon mal zu Fuß nach Hause gehen oder dich so lange noch in der Stadt aufhalten!“
Als Elmar weg war, kamen die anderen dran. Was das denn sollte, so ein Chaos, er sei ganz enttäuscht von dem Benehmen und so weiter. Während Stefan die Liederbücher aus dem Jugendraum holte, fackelten zwei weitere das Papier im Papierkorb an. Die wurden zur Strafe für 20 Minuten in den Heizungskeller gesperrt. Das wirkte immer. Ab sofort gab es keine Disziplinschwierigkeiten mehr.
Aber wo war Saskia? Die lag immer noch blutend neben dem Schlagzeug. Mist. Wie war das noch mal mit dem Erste-Hilfe-Kurs? Notarzt? Nein, lieber nicht. Die wollten bestimmt gleich wissen, wie so was passieren konnte und dann landete er Ruck-Zuck im Gefängnis. Voller Schrecken dachte er an die Jungscharstunde im Sommer, als sie im Baggersee baden gegangen waren. Während die 15 Kinder im Wasser getobt hatten, hatten sich Stefan und Patrick mit einer Kiste Bier hinter einen Busch verzogen und das schöne Wetter genossen. Als zwei Kinder dann so weit rausgeschwommen waren, dass sie allein nicht mehr zurückkommen konnten, hatte Stefan in seinem Zustand alle Mühe, die Kinde wieder abzuschleppen. Das war der Augenblick gewesen, in dem er ernsthaft darüber nachgedacht hatte, doch mal einen DLRG-Schein zu machen. Aber das war, wie gesagt, schon etliche Wochen her.
Mit etwas Ungeschick brachte Stefan jetzt die ohnmächtige Saskia neben dem Schlagzeug in die stabile Seitenlage. In dieser Position würde sie sicher bald zu sich kommen. Für alle Fälle stopfte er ihr eine Aspirin-Tablette in den Mund, die er immer im Portemonnaie bei sich trug. Das konnte nie schaden.
Oh, ein neues Kind in der Jungschar? Wie es denn heiße, wollte Stefan wissen. Kai. Und Michi hatte ihn einfach mitgebracht. Kais Mutter wusste gar nicht, dass er hier sei. „Na ja“, meinte Stefan, „ist vielleicht auch besser so. Schau mal, bei Lars ist es noch krasser. Seine Mutter hat ihm sogar verboten, zur Jungschar zu kommen und er kommt trotzdem. Das nenn ich mal ‚gegen den Strom schwimmen‘!“
Nach der Andacht (Thema: „Der liebe Gott sieht alles – auch was man in Abwesenheit der Mitarbeiter tut“) sollte es ein Stadtspiel geben. Jedes Kind erhielt einen Apfel und ein Ei, sollte allein von Haus zu Haus laufen und die Dinge jeweils in größere Gegenstände tauschen. Das Spiel war einfach und für jeden zu kapieren. Außerdem konnte da nicht so viel passieren wie beim Geländespiel letzte Woche. Da hatten sie im ganzen Waldgebiet verstecken gespielt. Einer war in eine Wolfsfalle getreten, einer in einer Kiesgrube abgerutscht und einer war nach langem Suchen überhaupt nicht mehr aufgetaucht. Den hatte ein Hubschrauber der Feuerwehr fünf Kilometer weiter aufgegabelt.
Aber das würde heute sicher nicht passieren. In der Stadt konnte ja nichts passieren. Heulsuse Janina wollte natürlich nicht allein losziehen. Sie hatte Angst. „Dann gehst du eben mit Stefanie“, bestimmte Stefan. Heimlich riet er dann Stefanie, sie sollte nach der nächsten Kurve einfach weglaufen. Die kleine Janina sollte schließlich mal ein bisschen zur Selbständigkeit erzogen werden. Manche musste man einfach zu seinem Glück zwingen.
Den großen Ben ließ Stefan allerdings nicht aus den Augen. Dessen Mutter hatte mal den Verdacht geäußert, in der Jungschar würde man die Aufsichtspflicht verletzen. Das wollte Stefan nicht auf sich sitzen lassen. Den Ben hatte er seitdem nie mehr aus den Augen verloren. Selbst beim Verstecken im Garten hatte sich Ben nur so weit entfernen dürfen, wie Stefan ihn noch sehen konnte.
Zehn von zwölf Kindern kamen um 18.00 Uhr wieder zurück. Eine erfreuliche Quote. Alle hatten Spaß gehabt, besonders Fabian, der unterwegs mindestens zehn Auto-Antennen umgeknickt hatte. Stefan wünschte allen einen schönen Abend, stieg ins Auto und fuhr nach Hause. Bis halb sieben waren dann auch die letzten der verbliebenen zehn Kinder von ihren Eltern abgeholt worden, sofern sie nicht schon zu Fuß nach Hause gegangen waren.