Vom Lehrer zum Zeuge

Unterwegs mit Kindern in einer postmodernen Gesellschaft

„Wieso erzählt ihr uns eigentlich jede Woche von Gott?“, fragte plötzlich einer der wildesten Kerle unserer Jungschar vor ungefähr 15 Jahren einen der Mitarbeiter geradewegs heraus. „Ihr wisst doch genau, dass keiner von uns daran glaubt.“ Etwas überrumpelt gab der Mitarbeiter zurück: „Ja, äh … weil … hm … weil wir aber daran glauben. Und weil wir die Hoffnung haben, dass ihr auch irgendwann mal anfangt darüber nachzudenken.“

Es ist gut, dass Kinder so ehrlich sind und uns an ihren kritischen Fragen und Zweifeln Anteil haben lassen. Aber es lässt uns Mitarbeiter manchmal auch etwas ratlos zurück. Ist es in unserer heutigen Zeit überhaupt noch möglich, den Kindern aus der Bibel zu erzählen, ohne dass sie es als Märchen oder „längst überholt“ abtun? In einer Zeit, in der so viele Glaubensrichtungen nebeneinander gelebt werden und in der Toleranz als eine der höchsten Tugenden hoch gehalten wird, stößt man ja automatisch auf Skepsis, wenn einer auftritt ganz selbstbewusst behauptet: „Jesus ist die Wahrheit.“ Wo alles gleichberechtigt nebeneinander steht, gibt es „die Wahrheit“ nicht.

Ja, wir wissen es: Unsere Gesellschaft verändert sich. Auch die Art, wie unsere Kinder in Schule und Kindergarten erzogen werden, verändert sich. Da gibt es immer weniger allgemein verbindliche Werte, Glaubens- und Lebenseinstellungen. Jeder puzzelt sich sein eigenes Lebenskonzept zusammen. Die Lehrerinnen und Erzieherinnen sind weniger die Fakten-Weitergeber, als vielmehr „personal Trainer“, die den Heranwachsenden Informationen und Alternativen zur Verfügung stellen, aus denen diese sich dann ganz individuell ihre Einstellung und ihre Lebensform konstruieren. Dabei ist den Erziehenden wichtig, dass es keine Vorgabe für „richtig“ oder „falsch“ gibt. Alles ist erlaubt. Das betrifft nicht nur die Einstellung zu partnerschaftlichem Zusammenleben oder dem eigenen Geschlecht, sondern auch die Ausübung der eigenen Religiosität. Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.

Nun können wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Arbeit mit Kindern darüber meckern und jammern. Wir können es aber auch als Chance betrachten. Denn da, wo bereits die Kinder lernen, sich ihre eigenen Gedanken zu machen und angebotene Dinge eigenverantwortlich zu bewerten, da können wir mit ihnen genau das auch in Bezug auf die Bibel und unsere biblischen Geschichten tun.

Darum versuchen wir seit einiger Zeit, mit Kindern gemeinsam auf Entdeckungsreise zu gehen. Wir schauen gemeinsam in die Bibel oder auf eine erzählte biblische Geschichte und fragen: „Was hast du hier entdeckt? Was freut dich? Was irritiert dich? Wo findest du eine Ermutigung? Was hast du über Gott herausgefunden? Was lernst du? Was willst du dir merken?“ Im Grunde ersetzen wir unsere Botschaft, die wir sonst von vorne verkündigt haben, durch ein Gespräch. Und wir fordern die Kinder heraus, sich selbst damit auseinander zu setzen. Das ist natürlich viel anstrengender als das, was ich weitergeben möchte, einfach von vorne zu sagen. Aber ein Gespräch, bei dem das Kind selbst aktiv beteiligt ist, prägt tatsächlich viel mehr. Und das, was ich ursprünglich von vorne als Input weitergeben wollte, kann ich auch hier eintragen. Als meine eigene Entdeckung. Denn wenn alle in der Runde erzählen, was ihnen an der Geschichte aufgefallen ist, dann darf ich das selbstverständlich auch tun. Und für Kinder, die sich ihre Meinungen und ihren Glauben selbst zusammenstellen und für die ich gleichzeitig ein Vorbild bin, hört es sich ganz anders an, ob ich sage: „Gott ist immer bei dir“, oder ob ich sage: „Mich freut an der Geschichte, dass David einfach so mit Gott reden konnte. Ich habe das in meinem Leben auch so erfahren. Und darum glaube ich, dass auch du das kannst.“

Die Rolle ist eine andere geworden. Ich bin nicht mehr ausschließlich Lehrer, der blankes Wissen losgelöst von einem persönlichen Leben vermittelt. Ich bin in erster Linie ganz im Sinne von Jesus ein Zeuge, der von seinem Glauben erzählt, dabei auch von seinen Sorgen und Ängsten reden kann und eben auch davon, wie er durch die Bibel wieder Hoffnung und Zuversicht bekommt.

Klar: Nicht alle Kinder sind gleichermaßen motiviert, über eine gehörte biblische Geschichte zu reden. Besonders Jungs in einem bestimmten Alter nicht. Darum sind wir ständig auf der Suche nach geeigneten Methoden, die auch solche, die nur Fußball und Rumtoben im Kopf haben, dazu bringen, eine eigene Entdeckung einzubringen. Bisher gehen uns da die Ideen nicht aus.

Den wilden Kerl aus der Jungschar, von dem ich eingangs erzählt habe, habe ich übrigens vor einiger Zeit mal auf Facebook ausfindig gemacht. Er ist inzwischen längst erwachsen. Aber in seinem Profil hat er bei „Lieblingsbuch“ notiert: „Die Bibel.“ Na also. War unser gemeinsames Bibellesen und das zeugnishafte Bekenntnis des Mitarbeiters wohl doch nicht umsonst.

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