Meine negativen Hochzeitsfotos

Neulich beim Keller-Ausmisten fand ich eine Schachtel mit der Aufschrift: „Negative Hochzeitsfotos“. Ich zeigte sie meiner Frau: „Brauchen wir die noch?“ – „Nee“, meinte die, „jetzt sicher nicht mehr.“

Unsere Kinder machten große Augen: „Ihr habt einen Karton mit negativen Hochzeitsfotos aufgehoben??“

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Tja, und jetzt die Preisfrage an die „digital Natives“, die auch keine Wählscheibe kennen, kein Dolomiti-Eis, und auch nicht Onkel Heini von „Neues aus Uhlenbusch“:

Was findet man in einem Karton mit der Aufschrift „Negative Hochzeitsfotos“?

a) zensierte Fotos der eigenen Hochzeit, in denen sich Braut und Bräutigam prügeln oder Schwiegermamas Hut schief sitzt

b) Hochzeitsfotos der bösen Nachbarn

c) abschreckende Bilder von fremden Hochzeiten, die man jederzeit herausholen und herumzeigen kann, um nicht passende Pärchen vom Heiraten abzuhalten

 

Man glaubt es kaum: Als Iris und ich geheiratet haben (kurz nach der Erfindung des elektrischen Lichts), konnte man sich die traumhaften Fotos, die der Fotograf geknipst hat, nicht sofort auf dem Display anschauen. Nein. Im Fotoapparat befand sich ein Film (nein, kein Spielfilm), den man erst mal „vollknipsen“ musste, also 24 oder 36 Fotos hintereinander machen, dabei aber möglichst kein Bild verplempern, denn man konnte es nicht wieder löschen. Geknipst war geknipst. Danach musste man den Film zum „Entwickeln“ bringen. Ja, man höre und staune: Damals haben sich nicht nur Charaktere und Persönlichkeiten entwickelt, sondern auch Bilder und Filme. Wenn sich Oma den Film in der Filmkapsel schon mal anschauen wollte und den ganzen Streifen rauszog, dann wunderte sie sich: „Da ist ja gar nichts drauf!“ Nee. War ja auch nicht. Nicht mehr. Denn der geheime Filmstreifen durfte sich nur im Dunkeln aufhalten. Und zwar im Dunkeln eines Fotolabors. Dort entwickelte er sich in einem Chemiebad (das weiß ich nur vom Erzählen, denn das geschah normalerweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit). Das schließlich entwickelte Bild sah aber immer noch sehr merkwürdig aus: klizteklein und falsche Farben! Was in echt schwarz war, war hier weiß. Was weiß war, war schwarz. Was blau war, war gelb und so weiter. Hübsches Foto? Negativ. Genau. Und darum nannte man diese erste Stufe des damals analog geschossenen und entwickelten Fotos auch: „Negativ„. Klingt komisch, is aber so.

Um daraus nun ein schönes Hochzeitsfoto zu bekommen, musste sich das Negativ nochmal einer kleinen Prozedur in der Dunkelkammer unterziehen. Heraus kam das Positiv: das wunderschöne Foto vom wunderschönen Brautpaar.

Sprich: Egal wie positiv das Brautpaar in die Kamera schaut – das direkt entwickelte Bild heißt immer Negativ. Und egal, wie negativ die Hochzeitsgesellschaft sich benommen hat – die Fotoabzüge der Negative sind immer Positive. Verrückte Welt, was?

Besonders brenzlig: In meinem Heimatdorf brachte man den zu entwickelnden Film (wenn er denn voll war) in den einzigen Fotoladen im Dorf. Eine Woche später konnte man die Bilder abholen. Die Fotoladen-Besitzerin war so frei, sich alle Bilder vorher schon mal angeschaut zu haben. Sie hatte freundlicherweise  die verschwommenen Fotos raussortiert und blätterte dann ein zweites Mal die Bilder gemeinsam mit dem Kunden auf der Ladentheke durch: „Hier, das ist etwas verschwommen, das würde ich wegtun. Und hier … Tante Berta im Badeanzug … das sieht auch nicht so schön aus, wollt ihr das wirklich mitnehmen? Aber das Foto hier … das ist richtig scharf …“ und so weiter.

Sollte ein Brautpaar also jemals wieder den Wunsch verspüren, eins seiner Bilder zu vervielfältigen, dann wäre es ratsam, sich die Negative aufzuheben. Denn ohne Negativ kein Positiv. So war das damals, als die Welt noch Schwarz-Weiß war. Beziehungsweise Rot-Grün oder andere Komplementärfarben.

Und die Moral von der Geschicht? Auch wenn ich an meine eigene Hochzeit nur positive Erinnerungen habe – tief unten im Keller liegen die Negative.

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Heiraten positiv und negativ

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