Meine Fleischwurst-Blamage

Neulich beim Metzger habe ich mich blamiert, ohne es zu merken.

„Ich hätte gerne eine Fleischwurst“, sage ich.

Die Verkäuferin: „Mit oder ohne?“

Etwas verwundert frage ich zurück: „Mit oder ohne was?“

Alle herumstehenden Kundinnen lachen laut. Die Verkäuferin witzelt: „Mit oder ohne Fleisch.“

Hahaha.

Dann klären sie mich auf, dass sie gemeint hat: „Mit oder ohne Knoblauch.“ Aha.

Als ich meiner Frau davon erzähle, war ihr das klar: „Was denn sonst?“

Ich gebe zu: Ich bin weder Metzger, noch ständiger Metzgerei-Kunde. Auch bin ich nicht in einer Metzgerei groß geworden und spreche demzufolge kein „metzgerisch“. Aber die, die sich auskennen, hatten was zu lachen auf Kosten von Klein-Harry.

 

Eine Woche später im Gottesdienst in unserer Kirche. Eine Tauffamilie ist zu Gast. Immer wieder spannend, Tauf-Onkel, -Tanten, -Paten und andere Erdenbürger zu erleben, die sich im Inneren einer Kirche fühlen wie Schweine im Weltall. Oder wie Harry beim Metzger: fremd, hilflos und den musternden Blicken der Fachleute ausgeliefert.

Der Pfarrer startet den Gottesdienst: „Ich grüße Sie mit dem Wochenspruch: Wer die Hand an den Pflug legt und schaut zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“

Die Tauffamilie schaut sich erschrocken um: Wo ist hier ein Pflug, den sie keinesfalls berühren dürfen? Was ist überhaupt ein Pflug? Ich, Harry, bin auch kein Landwirt, aber ich kenne den Begriff trotzdem. Aus der Bibel natürlich. Hier bin ich nämlich Fachmann. Ganz im Gegensatz zur Gastfamilie in der ersten Reihe. Die finden den Pflug nicht, entscheiden sich aber trotzdem dafür, das 5-jährige Brüderchen nicht herumrennen zu lassen. Ich glaube, für die vergeht der Gottesdienst beim besten Willen nicht „wie im Pflug“.

Tapfer versuchen die Kirchen-Aliens aus dem Gesangbuch mitzusingen. Immerhin sind alle Lieder an der Liedtafel angeschlagen, das haben sie detektivisch herausgefunden, auch wenn es niemand erklärt hat. Aber dann kommt die Outsider-Falle: Im zweiten Teil des Gottesdienstes feiern wir Abendmahl. Das wird mit immer denselben Liedern eingeleitet, die aber nicht an der Liedtafel angezeigt sind, sondern in einem extra Liturgie-Blatt aufgeführt sind, das direkt hinter dem Buchdeckel des Gesangbuchs liegt. Das hat mal ein schlauer Kopf produziert, damit die wenigen, die sich in der Abendmahlsliturgie nicht auskennen, trotzddem mitsingen können. Die Gottesdienst-Gemeinde braucht das Blatt nicht, denn sie kennt die Lieder auswendig. Und weil auch jeder weiß, dass dieses Blatt hinter dem Buchdeckel liegt, verrät der Pfarrer diesen Geheimtipp natürlich nicht. So kommt es, dass Patenonkel und Tauf-Oma während jener Lieder wild und unsicher im Gesangbuch herumblättern und schließlich nicht mitsingen, obwohl es doch extra ein Blatt für sie gegeben hätte. Tja. Dumm für die, die weder Pfarrer, noch ständiges Gemeindeglied, noch in unserer Kirche groß geworden sind. Die kennen kein „Kirchisch“.

Später kündigt der Pfarrer an: „Wir werden still zum Gebet.“ Daran finden wir nichts Außergewöhnliches, denn das sagt der Pfarrer öfter mal. Die Tauffamilie fühlt sich aber sofort ertappt: Das einzige Geräusch nämlich, das in dieser stillen Kirche bisher zu hören war, ist das Geplapper und Gequake des Taufkindes und hin und wieder dessen heruntergefallener Schnuller. Für eine Familie, die nicht in der Kirche groß geworden ist, muss sich das ja so anhören, als hätte der Pfarrer gesagt: „Könnt ihr denn jetzt wenigstens zum Gebet mal still sein?“

Am Ende des Gottesdienstes sagt der Pfarrer dann noch freundlich: „Geht mit dem Segen des Herrn.“ Regelmäßig sehe ich nach dieser Formulierung Konfirmanden zum Ausgang stürzen, weil sie aus dieser Aussage gehört haben, der Gottesdienst sei zu Ende. Unterstützt wird dieses Denken auch noch dadurch, dass wie auf Kommando die ganze Gemeinde aufsteht. Was sollte ein Konfirmand, der weder Pfarrer, noch ständiges Gemeindeglied, noch in der Kirche groß geworden ist, anderes denken, als dass alle aufgestanden sind, um schnellstmöglich die Kirche zu verlassen?

Ich muss an meine Fleischwurst denken. Von wegen, ich habe mich beim Metzger blamiert, weil ich nicht wusste, was „mit oder ohne“ bedeutet. Woche für Woche blamieren sich Menschen in unseren Gemeinden, die sich nach Jahren mal wieder in unsere Gottesdienste trauen (oder jemand hat sie in den Gottesdienst geschickt wie meine Frau mich zum Metzger). Und das nur, weil wir immer noch viel zu viel Insider-Sprache sprechen und unsere Abläufe nicht erklären. Das sollte nicht nur dem Metzger, sondern ganz besonders uns ständigen Kirchenbesuchern nicht Wurst sein.

fleischwurst

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