Wir sind das Volk! Mag sein – aber doch nicht wir Christen??

Und auch in dieser Passionszeit beschleicht mich wieder dieses Gefühl, dass da was nicht stimmt in unseren Palmsonntag-Predigten: „Ja, ja, die Volksmenge: Zuerst schreien sie: ‚Hosianna, gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn‘ und später schreien sie: ‚Kreuzige ihn‘!“ Und ich sitze da und denke: Ist das so? Waren das wirklich dieselben Leute, die zuerst hier, dann da mitgebrüllt haben? Sind die Leute wirklich so doof? Das wäre ja, so, als würde man über die Leute in Deutschland sagen: „Ja, ja, die Volksmenge: Zuerst rufen sie den Flüchtlingen mit großen Bannern zu: ‚Willkommen in Deutschland!‘ und später wählen dieselben Leute die AfD und rufen: ‚Hilfe, unser Land wird islamisiert‘.“

Ist das bei uns so?

Na gut, es kann sein, dass sich einige von der ersten Masseneuphorie in die spätere Massenhysterie treiben lassen. Aber sind da nicht immer noch Tausende von Freiwilligen, die unermüdlich den Flüchtlingen helfen, ihnen Kleidung und Wohnungen geben, Deutsch unterrichten, Regeln und Formulare erklären und die niemals rechtspopulistische Buh-Rufe unterstützen würden? Und gleichzeitig sind da die anderen, die besorgt rufen: „Weg mit denen!“?

Ich glaube, auch in Jerusalem vor 2.000 Jahren hat es beides gegeben: Die Jesus-Zujubler, die bei seinem Einzug auf dem Esel kapiert haben, dass Gott hier gerade was Neues einrichtet. Und die Gerne-Pöbler, die sich schnell von einer „Wir-kapieren-zwar-nix-aber-wir-brüllen-mal-laut-mit“-Welle erfassen lassen. Dabei ist mir noch nicht mal klar, ob alle „Kreuzige ihn“-Rufer überhaupt wussten, wer da vorne gekreuzigt werden sollte und warum. Genauso fraglich ist, ob alle „Hosianna“-Rufer die ganze Tragweite dessen, was da gerade vor sich ging, kapierte.

Also?

IMG_20160323_124552Es gibt sie beide: Die Masse der „Hurra“-Rufer und die Masse der „Buh“-Rufer. Und beide Massen springen auf Wellen auf, die irgendwo ihren Anfang hatten: die eine bei einem Mann, der Liebe predigte und jetzt auf einem Esel saß, die andere bei einer Gruppe Männern, die von Neid, Hass und Ablehnung getrieben waren.

Es gibt sie auch heute: Die Masse der Leute, die sich von Angstmachern und Hasspredigern anstecken lassen. Und die Masse der Leute, die sich von .. ähm … einem Liebe-Prediger auf einem Esel anstecken lassen? Nein. Ich wollte sagen, die sich von fröhlichen, überzeugten Christen anstecken lassen, die sich ihrerseits von dem Mann auf dem Esel begeistern lassen … nee, stimmt auch nicht … Also, ich meinte die Masse der Leute, die sich von braven Christen mitreißen lassen, die am Karfreitag in ihrem Gottesdienst sitzen, die Bibel irgendwie wichtig finden und die sonst weder am Arbeitsplatz, noch in der Familie irgendwie christlich auffallen wollen. Genau. Das wollte ich sagen.

Also lasst uns weiterhin offensiv unsere gekränkten Eitelkeiten nach außen tragen, weil zum Beispiel in der Gemeinde jemand anderes den Job gekriegt hat, den ich auch gut gekonnt hätte. Lasst uns weiterhin meckern, wenn der Nachbar den Mülleimer nicht ordentlich an die Straße gestellt oder zu bescheuert geparkt hat. Lasst uns den Mund aufreißen über ungeistliche Osterfeuer, falsche Musik im Gottesdienst, bibeltreue Frömmigkeit und das richtigste Bibelverständnis. Und lasst bl0ß nicht die sich selbst vergessende Liebe von der Leine, die den anderen höher achtet als sich selbst und die an Menschlichkeit und Versöhnung glaubt inmitten einer Welt voller Angst und Ungewissheit! Wo kämen wir denn da hin, wenn man die Christen an ihrer Liebe erkennen würde! Das könnte ja eine Welle geben, die nachher keiner mehr steuern könnte! Wir Christen könnten das Volk sein … oder es zumindest prägen! Aber ob unsere Kanzlerin dann immer noch sagen würde: „Wir schaffen das“? Nee, nee. Immer schön die Kirche im Dorf und die Bibel im Kämmerlein lassen.

In diesem Sinne: Frohe Ostern. Der Herr ist auferstanden. Die Versöhnung lebt. Aber psst, nicht weitersagen.

4 Antworten auf „Wir sind das Volk! Mag sein – aber doch nicht wir Christen??“

  1. Zum Einen das Feststellen, dass mich „Zuerst haben sie Hosianna gerufen und dann Kreuzige ihn“ jedes Jahr aufs Neue bewegt und eigentlich ärgert. Das kam ja vergangenen Sonntag in der Predigt wieder vor.
    Zum Anderen das Feststellen, dass Jesus der König eines Reiches ist, das von Liebe gezennzeichnet ist. Wenn ich mich in der christlichen Landschaft umschaue, vermisse ich in unseren Breitengraden oft diese Liebe. Ja, es gibt Freundlichkeit, Höflichkeit, auch Wohlwollen. Das alles gibt es auch im Turnverein, Schützenverein und überall da, wo sich nette Menschen treffen. Ich vermisse die leidenschaftliche Liebe in unseren Gemeinden. Und da nehm ich mich ganz deutlich mit rein. Ich bin mir leider auch oft selbst der Nächste.

  2. Dein Artikel hat mich inspiriert, meine Zusage zur Tontechnik beim Kinderbibeltag zu geben.

    Gestern habe ich Gott noch gefragt ob ich mitmachen soll, wenn ich mich recht erinnere.

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